„Light blue, almost white“:

„Light blue, almost white“ is a phrase that appears frequently in the text „Bing“ by Samuel Beckett, on a setting of which for a music theater piece I have ben working from 1999-2000. „Light blue“ I associate with a melancholic basic posture, like that of cool jazz, but which also can be found in the art of Japan. „Almost white“ refers to an area of noise: like the sound of breathing. „Light blue, almost white“ is dedicated to the memory of Olivier Messiaen.

 

„Phoenix 1-3“:

 I composed the cycle „Phoenix 1-3“ from 1992 to 1995. Each of these pieces may also be performed separately. A freely chosen body of material at the beginning is so often „reproduced“ according to particular rules until the situation at the beginning reappears. In this way a limited number of transformations is created, all of which move within the same framework and have a similar basic character. „Phoenix I“ and „Phoenix 2“ have to do with scales, whose pitch sequences are changed into curves which are doubled in their number to point of apparent „chaos“. The tonal field, however, remains of a kind of frame, a wall of sound within which the melodic material changes between ordered and unordered conditions and mediates between  perceptions of homophonic and polyphonic textures. In „Phoenix 3“, in contrast, the freely chosen point of departure is a chain of intervals. This leads to more complex forms, a multiplicity of expanding and meandering lines which share the same pitches at the beginning and end, sweeping freely through space – like a flock of birds – all sharing the same „basic color“. In general, each of the three pieces move in ist own way between the two extremes of a rock-solid sonotity on one hand vine-like interweaving melodic lines on the other.

 

Januar 2015: Neue CD bei Wergo ist erschienen

Detlev Müller-Siemens: Traces
Streichtrio, distant traces, "… called dusk", lost traces  

Mondrian Ensemble Basel (Daniela Müller, Violine;
Petra Ackermann, Viola; Martin Jaggi, Violoncello; Tamriko Kordzaia, Klavier)
Wergo WER 7310 2

Besprechung in dissonance - 130, Juni 2015:

«Never but in vanished dream the passing hour long short.» Die Utopie der aufgelösten Zeit, einmal zu verweilen in einem Moment, der sich dem steten Drängen zum Nächsten und Weiteren entwindet, und sei es nur für Sekunden – ein solches Verlangen scheint den vier Werken von Detlev Müller-Siemens eingeschrieben, die das Mondrian Ensemble Basel eingespielt hat. Traces ist der Titel dieser Einspielung, und die Arbeit an den Spuren der Musikgeschichte, die Suchenach dem, was in den musikalischen Atavismen noch zum Ausdruck drängt, wird gerne als Schwerpunkt des in Wien und Basel lebenden Komponisten gedeutet. Doch sind die Spuren bloss Reste einer unwiederbringlichen Vergangenheit, auf die man tränenden Auges zurückblickt? Das Klaviertrio distant traces (2007), das Müller-Siemens seinem Lehrer György Ligeti widmete, erlaubt vielleicht noch eine solche Deutung: Bruchstücke von Ausdrucksfloskeln sperren sich hier gegen jede Entwicklung, Walzerschatten werden harsch vom grellen Scheinwerferlicht motorischer Repetitionen verjagt; wie feinsinnig und präzise die Instrumente auch ihre Figuren einbringen, die Fragmente lassen sich nicht mehr zusammenfügen, und so verenden sie, isoliert, in lebloser Stille. Das zweisätzige Streichtrio (2002) trägt ähnliche Unvereinbarkeiten aus, auch hier werden Richtungsloses und Rücksichtsloses hart gegeneinander geschnitten. Dieses blockartige Nebeneinander von zaghaft Suchendem und blinder Agitation verwehrt sich jeder auflösenden Vermittlung, jede Ruhe ist scheinbar, sie ist gereizt. Und auch die Stimmen des Klavierquartetts lost traces (2007) verlieren sich in einem Spurengewirr, das keine Richtung erkennen lässt: Immer wieder schlägt das Klavier Frequenzspektren auf, in welche die Streicher einzusteigen versuchen, ohne jemals Halt zu finden. Erst im herausragenden "… called dusk" (2008–09) für Cello und Klavier weisen die Spuren einen Weg: Der Titel spielt auf den Text "Lessness" von Samuel Beckett an, ein literarisches Experiment, in dem Beckett sechzig Sätze durch Zufallsverfahren in zwei verschiedene Textkonstellationen bringt. Jede dieser Anordnungen trägt in ihrer Kontingenz die Spur unendlicher Möglichkeiten, dieselben Phrasen anders zu ordnen, anders zu meinen. Und so ergeben sich, inmitten schräger Bilder und sinnloser Übergänge, auf einmal Glücksfälle, lokale Verdichtungen von ergreifender Schönheit. Anders als Cage, der den Zufall als Prinzip dem Werk zugrunde legt, inszeniert Müller-Siemens vielmehr den Zufall als seltenes Ereignis, als Werfen der Würfel; etwa wenn im ersten der drei Sätze von "… called dusk" das Cello die tiefen Saiten so beherzt anreisst, dass dem Klavier lose Einzeltöne wie Funken entweichen. Hier wie in der Erstarrung des letzten Satzes verwirklichen sich, inmitten der Unstimmigkeiten, Ruinen der Zeit, ein utopischer Augenblick, eine kurze Endlosigkeit. «In four split asunder over backwards true refuge issueless scattered ruins. He will live again the space of a step it will be day and night again over him the endlessness.»

Christoph Haffter (Die gedruckte Fassung ist erschienen in dissonance 130, Juni 2015, S. 53.) 


Sur les Traces de Müller-Siemens

Pierre-Alain Chamot, Schweizerische Musikzeitung, 21.04.2015
L’Ensemble Mondrian nous fait découvrir la musique de chambre du compositeur allemand pleine de couleurs et de diversions.

Moins médiatisé que d'autres collègues de sa génération, Detlev Müller-Siemens, professeur de composition à Bâle puis à Vienne, n'est que peu présent dans les pays latins. Ces quatre œuvres de musique de chambre enregistrées par l'excellent Ensemble Mondrian aidera peut-être à réparer cette lacune.

Le langage de Müller-Siemens est contrasté à l'extrême, toujours très coloré, tantôt violent et dramatique, tantôt d'un lyrisme vertigineux ; on n'y vivra pas une seconde d'ennui, pas une minute de routine. L'aspect sensuel de la sonorité y reste de plus à tout moment présent, inventif et surprenant.

Le Trio à cordes se joue sur plusieurs plans, caractéristiques jusqu'à la caricature, entre lesquels l'auditeur se voit propulsé sans transition, chacun d'eux ayant son développement dramatique propre. Les nombreux effets de couleurs fonctionnent parfaitement grâce à la qualité de la sonorité et de la coordination de l'Ensemble Mondrian.

Distant traces à la mémoire de Ligeti est une révérence au maître, pleine d'allusions, de clins d'oeil même, où on retrouve sans peine l'esprit du compositeur hongrois qui a tellement marqué la musique allemande depuis 1950.

Lost traces mélange la microtonalité en clusters avec des rythmes répétés obsessivement jusqu'à l'incandescence : un vrai régal.

Un autre moment de grâce : la troisième partie de ...called dusk, une cantilène aérienne en flageolets du violoncelle, avec un piano mélancolique gravitant à l'entour.

Le CD est accompagné d'un livret avec un excellent essai sur les générations qui se sont succédées à Darmstadt, éclairant les origines artistiques de Detlev Müller-Siemens.

 

CD mit dem Ensemble Phœnix Basel, erschienen bei WERGO Classics

Basler Zeitung, 13.6.2001

Mit seinem Kammermusikzyklus «Phoenix 1-3» (1992-1995) komponierte
Detlev Müller-Siemens verschiedene Ausführungen einer
Ensemble-Konzeption, die klar umrissener Klang-Individuen ebenso
entbehrt wie eines übersichtlich funktionierenden Kollektivs. In fast
zäsurlosen Ausformungen fixieren diese Stücke den permanenten Übergang
zwischen unterschiedlichen Satztypen und erhellen dadurch
Zwischenbereiche des Komponierbaren. In der fantastischen Einspielung
mit dem «Ensemble Phoenix Basel» unter Jürg Henneberger nimmt sich dies
alles andere als spekulativ aus. Besonders die gegeneinander
verschobenen Klangschichten von «Phoenix 3» und «Cuts» (1996-97)
gewinnen eine Qualität von geradezu haptischer Direktheit.
Müller-Siemens ist neuerdings Samuel Beckett besonders zugetan. Zur 
Zeit arbeitet er an einem Musiktheaterprojekt über den Text «Bing» und
unternahm mit «Light blue, almost white» (1998) eine erste
kammermusikalische Annäherung an eine Kunstsprache, deren Reste an Sinn
sich fast gänzlich in Sprachklang zu lösen scheinen. Viel prägnanter 
und sparsamer als in den «Phoenix»-Stücken formuliert Müller-Siemens
Grundgestalten, die oft an den Registergrenzen angesiedelt sind, dort
ihrer eigenen Neutralisierung zustreben, sich im Verlöschen dem
Beckett'schen «almost white on white» endgültig zuneigen."